Lieber Leser,

ich komme aus dem argentinischen Patagonien und bin vor kurzem nach Stuttgart gezogen. Beim Schreiben dieses Textes sind mir einige Fragen gekommen. Vielleicht möchte jemand diese Fragen mit mir teilen – weil sie ihm oder ihr bekannt vorkommen.

Kurz nach meiner Ankunft im Priesterseminar erfuhr ich, dass am Bodensee ein Kinderzeltdorf stattfinden würde. Mit großer Begeisterung machte ich mich auf den Weg dorthin. Beim Aufbau des Camps konnte ich beobachten, wie eine Gemeinschaft entstand und lebendig wurde.

Ich schätze besonders den Wert, Räume zu schaffen, in denen das Bilden und Pflegen von Gemeinschaft geübt werden kann. Auf den ersten Blick mag das Kinderzeltdorf wie ein Spiel wirken – und doch bietet gerade das Spiel die Möglichkeit, mit Freude Fähigkeiten zu entwickeln, oder nicht?

Während der gemeinsamen Tage beobachtete ich, wie die Jugendlichen und Kinder spielten, Verantwortung übernahmen und Aufgaben erfüllten. Sie stellten ihre Arbeit in den Dienst der Fürsorge füreinander und des Gemeinwohls des Dorfes. Ich sah, wie sie die Herausforderung meisterten, fern von ihrer Familie und den Annehmlichkeiten des Zuhauses zu sein; wie sie es schafften, durch gute Organisation Ordnung und Schönheit in ihren Zelten zu bewahren. Ich sah, wie sie sich zurückhielten, ins Wasser zu springen, um erst ihre Aufgaben zu vollenden – und wie sie dann mit umso größerer Freude das genießen konnten, was sie gemeinsam geschaffen hatten.

Wie wichtig ist es doch, in der Kindheit und Jugend Erfahrungen von gelebter Gemeinschaft zu machen! So wird der Boden fruchtbar bereitet für die Samen, die in Zukunft keimen wollen.

Eine besonders wertvolle Erinnerung dieser Zeit ist für mich der Moment, als die Jugendlichen die Pfosten vorbereiteten, die die Struktur des Tipis tragen sollten – jenes Ortes, an dem später der Altar aufgebaut wurde, der während des Kinderzeltdorfs diente.

Die Jugendlichen stellten ihre Fähigkeiten in den Dienst: ihre Beobachtungsgabe, um die besten Bäume für die Tipi-Struktur auszuwählen; ihre Ausdauer, um sie zu entrinden; ihre gemeinsame Kraft, um sie aufzurichten und zu verankern. Das Ziel? Die Hauptstruktur zu errichten, auf der alles andere aufbauen würde.

Ist es nicht großartig, dass die Jugendlichen die Möglichkeit haben, Zusammenarbeit täglich zu erleben? Dass sie bereit sind zu lernen, ihre Fähigkeiten einzubringen und ihren Willen in den Dienst einer gemeinsamen Aufgabe zu stellen? Sie haben ihre Aufgabe nicht nur erfüllt, sondern mit Begeisterung umgesetzt.

Für mich war das ein bewegendes Bild von Gemeinschaft.

Dann fragte ich mich: Welches Bild von Gemeinschaft bauen wir Erwachsenen auf und bieten es an? Wie erneuern wir unser Verständnis von Gemeinschaft für die kommenden Generationen? Wie schaffen und gestalten wir Räume gemeinschaftlichen Lebens neu?

Auf der Suche nach Antworten beobachtete ich das Tun der Kinder und Jugendlichen im Kinderdorf – und begann zugleich, mein eigenes Handeln und das Geschehen um mich herum bewusster wahrzunehmen. Die Antworten, die ich suchte, kamen in Form neuer Fragen:

Wie tragen wir Erwachsenen die täglichen Aufgaben, die die Entscheidung für ein Ideal mit sich bringt, wenn wir Teil der Christengemeinschaft sein wollen?

Sind wir bereit, zu lernen?

Stellen wir unsere Gaben zur Verfügung?

Stellen wir unseren Willen in den Dienst der gemeinsamen Aufgabe?

Erfüllen wir unsere Aufgaben mit Enthusiasmus?

Wie gelingt es uns, das Ideal der Gemeinschaft in uns immer wieder neu entstehen zu lassen?

Während ich diese Fragen in mir bewege, erinnere ich mich an ein Fragment aus einem Gedicht des mexikanischen Schriftstellers Octavio Paz:

„Damit ich sein kann, muss ich ein anderer sein,

aus mir herausgehen, mich unter den anderen finden,

die anderen, die nicht sind, wenn ich nicht existiere,

die anderen, die mir volle Existenz geben.“

(Octavio Paz, „Piedra de Sol“, 1957)

Lieber Leser, ich weiß, dass diese Fragen nicht neu sind – doch jede Frage eröffnet den Raum für Antworten. Ich glaube, dass solche Fragen die Bereitschaft verlangen, eine Schale zu schaffen, die das Eintreffen von Antworten ermöglicht. Und ich glaube, dass die neue Generation erwartet, dass wir diese Schale bereiten.

Die Zukunft ist auf dem Weg.

Vielleicht entsteht das Neue gerade dadurch, dass wir die Fragen tragen – und mit ihnen gehen.

Arias Paula Soledad